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Poolnudeln für mehr Sicherheit

Wir vom Netzwerk Fahrradfreundliches Friedrichshain-Kreuzberg wollten ausprobieren, was in den vergangenen Wochen schon vielfach an anderen Orten getestet wurde und durch die sozialen Medien ging: Schafft eine Poolnudel wirklich mehr Sicherheit? Die Aktion ist leicht durchzuführen. Einfach eine Poolnudel am Gepäckträger befestigen und losradeln. Eine Poolnudel misst nämlich 1,50m. Das ist genau der Sicherheitsabstand, den Autofahrende beim Überholen eines Fahrradfahrenden einhalten müssen. So entsteht schnell der nötige Schutzraum, der Radfahrer*innen oft fehlt.

Unsere Erkundungstour startete am vergangenen Freitag am Oranienplatz mit einer Fahrt durch die Oranienstraße. Zu unserer Überraschung gab es kein Gedrängel. Autofahrende fuhren – anders als gewöhnlich – entweder geduldig hinter uns oder überholten mit mehr Abstand, als durch die Poolnudel vorgegeben war. “Normalerweise fahre ich wirklich ungerne durch die Oranienstraße mit dem Fahrrad. Es gibt keinen Radweg, viel motorisierten Individualverkehr und oft wird in zweiter Reihe geparkt. Mit der Poolnudel hatte ich endlich den Raum, der mir als Radfahrer zustehen sollte”, sagt Lennart von RadXhain.

Bei unserer Fahrt auf der Köpenicker Straße konnten wir feststellen, dass die Poolnudel Autofahrer*innen dabei zu helfen scheint, den tatsächlichen, vorgeschriebenen Mindestabstand einzuhalten statt sich an der trügerischen Markierung des dortigen Fahrradschutzstreifens zu orientieren. “Durch die Poolnudel haben uns die Autos endlich wahrgenommen und mit dem nötigen Abstand überholt. Und das meistens mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht”, sagt Isabell, die an der Aktion teilnahm. “Erschreckend war es kurz danach wieder ohne Poolnudel durch den Bezirk zu fahren und sich im Straßenverkehr behaupten zu müssen”, so Antje, die auch mit Begeisterung dabei war.

Fazit: Die Aktion konnte verdeutlichen, dass sichere und baulich vom Autoverkehr getrennte Fahrradwege im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg notwendig sind und, dass die bisherigen Radschutzstreifen zwischen fahrenden und parkenden Autos nicht die notwendige Sicherheit bieten. Vielleicht sind wir zukünftig häufiger mit einer Poolnudeln unterwegs, bis sich die Situation für Radfahrende endlich bessert.

Pressemitteilung: Info zur Falschparkerwoche

Das Falschparken ist bei PKW-Fahrer*innen weit verbreitet, mal eben in der zweiten Reihe statt einen ordentlichen Parkplatz gesucht. Denn es geht ja auch schneller und kostet nichts. Dabei gefährdet Falschparken andere Verkehrsteilnehmer*innen. Anderen macht es das Leben schwer. Wenn Liefer- und Ladezonen zum Dauerparken benutzt werden, stellen sich Lieferanten einfach auf die Straße. Der Verkehr ist chaotischer und gefährlicher, und man kommt auch nur mit Verzögerung und genervt am Ziel an.

Laut einer schriftlichen Anfrage von der Linke im Abgeordnetenhaus wurden 2017 nur 16 Zweite-Reihe-Parker vom Ordnungsamt Friedrichshain-Kreuzberg umgesetzt und nur 124 Falschparker wurden von Radschutzstreifen, Rad- oder Gewegen umgesetzt. “Radfahrerinnen und Fußgänger sind auf das Ordnungsamt angewiesen, damit sie sich sicher durch den Bezirk bewegen können. Jedes mal wenn ich durch die Oranienstraße fahre, bin ich gezwungen, etwa einem Dutzend Zweite-Reihe-Parker auszuweichen. Das ist gefährlich!” beschwert sich Martin Kirchner vom Netzwerk Fahrradfreundliches Friedrichshain-Kreuzberg.

“Das Bezirksamt bekommt das Problem des Falschparkens nicht in den Griff. Falschparken lohnt sich, da die Knöllchen lächerlich niedrige Beträge kosten. Abschleppen aber wird für die Falschparkenden deutlich teurer. Konsequent falschparkende Autos abzuschleppen würde das notwendige Signal senden: Hier im Bezirk wird Falschparken nicht geduldet!“ sagt Dirk von Schneidemesser, Mitinitiator des Netzwerkes Fahrradfreundliches Friedrichshain-Kreuzberg. „Dieses Signal fehlt bisher, der Bezirk lädt zum Falschparken ein. Das kann lebensgefährliche Folgen haben.” Wir fordern eine sofortige Aufstockung des Ordnungsamtes mitsamt Fahrradstaffel. Zudem sollten weitere Möglichkeiten überlegt werden, zum Beispiel einen bezirkseigenen Abschleppwagen was das Umsetzen von Falschparker beschleunigen könnte.

Aktive vom Netzwerk Fahrradfreundliches Xhain haben von Ende 2017 bis April 2018 das Ordnungsamt 50 Mal angerufen und protokolliert, ob und wie sie jemanden erreicht haben. Von 50 Versuchen, das Ordnungsamt zu erreichen, wurden 37 (74%) Anrufe nicht entgegengenommen. Die anderen Anrufe wurden durch die Mitarbeiter*innen des Ordnungsamtes zwar höflich entgegen genommen, blieben aber oft mit der Begründung man habe keine Kräfte für den Einsatz folgenlos. Manchmal wurde auch die Gefährdung durch Falschparkende kurzerhand in Abrede gestellt.

Deswegen hat sich das Netzwerk Fahrradfreundliches Friedrichshain-Kreuzberg der ersten bundesweiten Falschparker-Aktionswoche angeschlossen, ausgerufen von der Initiative für Clevere Städte und dem ökologischen Verkehrsclub Deutschland. Denn Falschparken ist gerade in Xhain ein riesiges Problem. Wer z.B. bereits einmal durch die Oranienstraße gefahren ist, egal ob mit dem Auto oder mit dem Fahrrad, kann ein Lied davon singen.

Montagmorgen verteilten Mitglieder des Netzwerkes Schilder in der Oranienstraße “Sei kein Falschparker.“ Einige Einzelhändler*innen nahmen diese dankbar an und hängten sie in ihre Fenster. Sie fänden es unglücklich, dass durch Falschparken in der Oranienstraße ihre Kunden auf dem Weg zum Einkauf gefährdet werden.

Weiter Links und Hintergrundinformationen

Weiter Information zur bundesweiten Falschparkerwoche finden sie hier:
https://www.wegeheld.org/freie-wege

Die Webseite vom Netzwerk Fahrradfreundliches Friedrichshain Kreuzberg:
https://www.rad-xhain.de/

Schriftliche Anfrage von der LINKE im Abgeordetenhaus zu Maßnahmen gegen Behinderungen des Radverkehrs:
https://kleineanfragen.de/berlin/18/13591-massnahmen-gegen-behinderungen-des-radverkehrs

Schriftliche Anfrage der Grünen in der BVV zum Beitrag des Ordnungsamtes für sicheren Fuß- und Radverkehr (insbesonder 8 & 14):
https://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/politik-und-verwaltung/bezirksverordnetenversammlung/online/ka020.asp

Ansprechpartner Netzwerk Fahrradfreundliches Friedrichshain-Kreuzberg:
Dirk von Schneidemesser
+4917678399700
dirkvs@posteo.de

Wo bitte geht’s zum Radweg?

Wo bitte geht’s zum Radweg?

In Berlin kann Fahrradfahren zur Herausforderung werden. Konzentration und höchste Aufmerksamkeit sind nötig. Zugeparkte Radwege und konfuse Verkehrsführungen machen es spannend.

Schulterblick, Schulterblick und nochmal Schulterblick. Selten habe ich auf dem Fahrrad den Kopf so oft über die linke Schulter nach hinten gedreht wie auf der Kreuzberger Oranienstraße. „Sie wird auch die ,Radfahrerhölle‘ genannt“, hat mir Dirk von Schneidemesser eben erklärt. Jetzt weiß ich warum.

Rückblende: Wir stehen mit den Rädern am Moritzplatz und schauen die Oranienstraße hinunter. Der hochgewachsene, sportlich wirkende junge Mann fährt täglich mindestens zehn Kilometer mit dem Fahrrad durch Berlin. An manchen Tagen sind es sogar 60 Kilometer. Heute will Dirk von Schneidemesser mit mir auf dem Fahrrad durch seinen Kiez strampeln. Der 33-Jährige ist aktiv in der der Gruppe „Fahrradfreundliches Friedrichshain-Kreuzberg“, eine Untergruppe der Initiative „Volksentscheid Fahrrad“. Die Initiative will die Berliner Politik und Verwaltung dazu antreiben, mehr Aktivität in Sachen Infrastruktur für Fahrradfahrer an den Tage zu legen. An vielen Stellen ist das wohl auch dringend nötig, wie ich selbst erfahre.
Die Oranienstraße wird von Häusern, meist fünf Stockwerke hoch, gesäumt. Rechts und links parken durchgehend Autos am Straßenrand. Die fahrenden Autos haben ausreichend Platz, ohne sich in die Quere zu kommen. Doch als Fahrradfahrer muss man sich konzentrieren und die Augen überall haben. Denn es sind viele Autos, Lkw und auch Radler unterwegs – auch wenn Dirk von Schneidemesser eben noch gesagt hat: „Heute ist nicht so viel los.“ Morgens würden sich die Autos die gesamte Straße entlang stauen.
Nun ist es früher Nachmittag. Einen durchgehend markierten Schutzstreifen für Radler gibt es nicht. Die finden sich nur am Oranienplatz und an den Kreuzungen. Dirk von Schneidemesser fährt ein türkisfarbenes Fahrrad mit Rennlenker und Ledersattel. Er trägt schwarze Radhandschuhe und eine rot umrandete Sonnenbrille. In zügigem Tempo und mit gleichmäßigen Tritten gibt er vor mir die Strecke vor. Ich bemühe mich, ausreichend Abstand zu den geparkten Autos am Straßenrand zu halten.
In diesem Jahr sind in Berlin schon zwei Radfahrer gestorben, weil sie gegen Autotüren geprallt waren, die die Fahrer direkt vor ihnen geöffnet hatten. Solch ein Wissen beeinflusst das eigene Verhalten, wie ich nun merke. Andererseits bin ich bedacht, nicht zu weit auf die Fahrbahnmitte zu rutschen, damit die Autos mich nicht zu eng überholen. Immer wieder schaue ich über die linke Schulter auf Fahrzeuge hinter mir.
Vor uns erscheint ein Transporter, der in zweiter Reihe hält. Das Umkurven gestaltet sich diesmal problemlos, weil wir gerade kein Auto unmittelbar hinter uns haben. „Sonst parken hier mehr Autos in zweiter Reihe“, erklärt mein Mitfahrer. Die Ampel am Oranienplatz zeigt rot. Wir halten an, müssen uns aber sehr dünn machen. Direkt neben dem Bordstein hat sich unmittelbar vor der Haltlinie eine große Pfütze gebildet, die sicherlich etwa drei Meter in der Länge misst und fast die gesamte Breite des Fahrradschutzstreifens einnimmt. „Eigentlich müsste so etwas direkt behoben werden“, denke ich.
An der Kreuzung an der Adalbertstraße haben wir Glück, nicht schneller unterwegs zu sein. Ein silberner Smart will rechts abbiegen und schiebt sich uns in den Weg. Da Fußgänger die Straße queren, muss er warten. Dirk von Schneidemesser hält an, sucht den Blickkontakt mit dem Fahrer und fährt weiter. Ich halte ebenfalls, lasse den Wagen aber lieber passieren. Auch wenn es nur ein Smart ist – im Zweifelsfall würde ich wohl den Kürzeren ziehen.

Kurz darauf unterqueren wir die Hochbahn am Görlitzer Bahnhof. An der Bushaltestelle leiten Markierungen uns auf den Gehweg. Eigentlich eine sinnvolle Lösung, um Konflikte mit Bussen zu vermeiden. Wäre die Stelle, an der es anschließend wieder auf die Straße geht, nicht von Autos zugeparkt – übrigens nicht die einzige Stelle auf unserer Tour. Das Parkverbot-Schild wird hier ignoriert.
Der Lkw mit den Bierkästen auf der Hebebühne, der in zweiter Reihe hält, klaut noch mehr Platz. Wir halten an. Statt hier auf die Straße zu fahren, nutzen viele Radfahrer einfach den breiten Gehweg weiter. „Das ist nicht gut, aber ich kann sie verstehen. Die Infrastruktur lädt dazu ein“, sagt Dirk von Schneidemesser. „Männlich und um die Dreißig“, ergänzt er, während er die Radler beobachtet, die an dieser Stelle auf der Straße weiterfahren. Das sei die Gruppe, die sich bei den herrschenden Straßenverhältnissen auf dem Rad am ehesten sicher fühlt.
Andere Menschen hingegen würden das Rad meiden. Er berichtet von der 93-jährigen Oma eines Freundes: „Sie spielt kein Skat mehr mit ihrer Freundin, die drei Straßen weiter wohnt. Mit dem Taxi ist es ihr zu teuer, zu Fuß ist es ihr zu weit und mit dem Fahrrad traut sie sich nicht – obwohl sie das physisch noch könnte.“
Von Schneidemesser führt aus: „Es gibt eine große Gruppe von Menschen, die sind interested but concerned, wie es im Englischen heißt. Sie würden gerne, aber sie fühlen sich unsicher.“ Hier ist der Senat gefragt, findet er. Es werde zwar begrüßt, wenn Menschen das Fahrrad nutzen. Doch mit den Problemen werde man alleine gelassen.
An manchen Stellen auf unserer kleinen Tour scheinen verwirrende Verkehrsführungen das zu bestätigen.
Wir fahren die Wiener Straße in Richtung Landwehrkanal und biegen rechts in die Ohlauer Straße ab. Würde Dirk von Schneidemesser nicht vorfahren, wäre ich wohl auf der Straße geblieben. Dass hier ein getrennter Rad- und Fußweg beginnt, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen – kein Schild, keine Markierungen, nichts.
Ähnlich irritiert bin ich später, als wir auf der vierspurigen Kottbusser Straße in Richtung Sonnenallee unterwegs sind und den Landwehrkanal überqueren. Denn abrupt hört dort der Fahrradstreifen auf der Fahrbahn an einer Fußgängerampel auf. Würde ich weiterfahren, würde ich wenige Meter weiter auf parkende Autos prallen. Immerhin sollen die rechten Fahrbahnen in beide Richtungen auf dem Kottbusser Damm künftig zu einem Streifen für Radler umfunktioniert werden. Die rechten Spuren werden von Autos eh kaum benutzt.

Derzeit ist in Berlin das erste Fahrradgesetz Deutschlands in Arbeit. Unter anderem sollen geschützte und baulich abgetrennte Radstreifen an den Hauptverkehrsstraßen und 100 Kilometer Radschnellweg entstehen. Die Verabschiedung des Gesetzes vor dem Berliner Abgeordnetenhaus verzögert sich allerdings noch. Bis dahin heißt es: Schulterblick, Schulterblick und nochmal Schulterblick.

Von Johannes Mager – 2017